Internationalen Bulletin No8 [DE]

Der erfolglose Putschversuch, dessen Auswirkungen noch andauern, bestimmt nicht nur die türkische Tagesordnung. Er nimmt auch an der Tagesordnung von allen kommunistischen- und Arbeiterparteien einen wichtigen Platz ein. Selbstverständlich müssen diese Ereignisse aus der Sicht des Klassenkampfes in der Türkei analysiert werden. Dieser Putschversuch berührt aber generell die Klassenkämpfe weltweit, weil er gleichzeitig das imperialistische System, den Konkurrenz und die Schwäche innerhalb dieses Systems reflektiert.

Deshalb hat das Büro der Internationalen Beziehungen versucht, die Hintergründe und Auswirkungen des Putschversuchs in 10 Fragestellungen der internationalen kommunistischen Bewegung zu erklären.

Diese sind:
    1.    Auf wessen Konto geht der Putschversuch? (Wer hat den Putschversuch zu verantworten?) (s. die Link für das Bulletin 6)
    2.    Was war die Zielsetzung des Putsches? (s. die Link für das Bulletin 6)
    3.    Hätte der Putsch Erfolg haben können? (s. die Link für das Bulletin 7)
    4.    Welchen Platz nimmt die Gülen-Sekte in der türkischen Geschichte ein? (s. die Link für das Bulletin 7)
    5.    Werden der Kapitalismus der Türkei und die bürgerliche Politik zur Normalität finden? (s. unten)
    6.    Ist es möglich, dass die Türkei sich in Richtung Iran und Russland orientiert? (s. unten)
    7.    Gibt es ein Zusammenhang zwischen NATO –Gipfel und dem Putsch? (s. die folgende Bulletins")
    8.    Werden Erdogan und die AKP es schaffen, die wegen der Säuberung entstandene Zerfahrenheit innerhalb des Staates wieder zu reparieren? (s. die folgende Bulletins")
    9.    Erwartet die Türkei eine islamistische, faschistische Diktatur unter der Führung von Erdogan? (s. die folgende Bulletins")
    10.    Bietet die Türkei in diesem Zustand Chancen für die Politik der Arbeiterklasse? (s. die folgende Bulletins")

In jedem Bulletin werden wir zwei von diesen Fragen beantworten. Falls uns andere Fragen gestellt werden, werden wir auch Antworten für sie vorbereiten.
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Das Büro für internationale Beziehungen schätzt die Perspektive der internationalen kommunistischen Bewegung hoch ein und bittet um Kommentare und Fragen, die in den weiteren Analysen mit berücksichtigt werden sollen. Schreiben sie bitte uns an: [email protected]

5- Werden der Kapitalismus der Türkei und die bürgerliche Politik zur Normalität finden?
 

Bestimmt gibt es für die Politik der Arbeiterklasse keinen „normalen“ Kapitalismus. Was hier unter  Normalität verstanden wird, sind die Bedingungen, die dem Regime die Möglichkeit geben, mit den Krisen fertig zu werden, die Ordnung, die auf Ausbeutung beruht.
In diesem Sinne scheint eine Normalisierung in der Türkei schwierig zu sein. Das hat weniger mit den Träumen der AKP von einer Diktatur zu tun, sondern mit der schwankenden Haltung der Bourgeoisie der Türkei zwischen den imperialistischen Kräften.
Die imperialistischen Zentren, die während des Putsches Stillschweigen bewahrten, deklarierten halbherzig ihre Unterstützung für die „gewählte Regierung“, als klar wurde, dass der Putsch gescheitert ist. Kurz darauf begannen die Medien, die zu diesen Zentren gehören, sich ihrer wahren Absichten gemäß zu verhalten.  
In dieser Etappe werden USA und NATO Erdogan nicht mehr in Ruhe lassen und wenn kein besonderer Kompromiss gefunden werden sollte, werden sie ihn bei nächster Gelegenheit liquidieren wollen. Die AKP und ihr Führer Erdogan leben in diesem Moment mit dieser Angst.  
Sie haben Angst vor Attentaten, vor einem erneuten Putsch, vor Instabilität, in der die Türkei getrieben wird und sogar vor ausländischer Intervention. Kurz nach dem Putsch-Versuch wurde behauptet, dass die Sicherheit der Atomwaffen, die sich im Incirlik-Stützpunkt befinden, nicht gewährleistet ist. Die AKP-hörige Medien reflektieren ihre Sorgen vor einem geschürten Konflikt zwischen Alewiten und Sunniten oder Verschärfung des Krieges mit der separatistischen kurdischen Bewegung.    
Auf der anderen Seite sind Erdogan und seine Clique aufgrund der Korruptionen, in denen sie verwickelt sind, mit dem Gefahr konfrontiert von internationalen Gerichten belangt zu werden.
Es ist auch die von einer ökonomischen Krise die Rede, auf die sich die Türkei zubewegt. Eine der Mittel des Imperialismus, die Rating-Agenturen stuften die Türkei augenblicklich herunter. Aber die Wirtschaft der Türkei ist mit dem imperialistischen System so verwachsen, dass die Konsequenzen nicht abzuschätzen sind, eine so große Ökonomie abstürzen zu lassen. Wir aber sollten wissen, dass sie nicht alles kontrollieren können und eine Krise mit ökonomischen Dimensionen im Rahmen der Möglichen ist.
Zum Schluss kann man sagen, dass sich die Normalisierung der Türkei mit einer politischen Stabilisierung eine Weile hinziehen kann. Sie wollen diese Normalisierung auf einem breiten gesellschaftlichem Konsens aufbauen. Aber angesichts der Verschärfung der Krise des Imperialismus bildet die Lage der Kapitalisten der Türkei einen weiteren wesentlichen Krisenherd.

6- Ist es möglich, dass die Türkei sich in Richtung Iran und Russland orientiert?
 

Es ist eine Tatsache, dass das türkische Großkapital seit längerem an einer Ausbau der Beziehungen zu Russland und Iran interessiert ist. Da Russland kein sozialistisches Land mehr ist, bedarf dies auch im Gegensatz zu Sowjet-Zeiten keinen Systemwechsel durch eine Revolution. Allein die Aussicht auf Gewinne treibt die türkischen Monopolisten.
Sicherlich ist auch bei bürgerlichen Politikern mittlerweile angekommen, dass die aggressive Politik der USA gegen Russland und in der Region die Türkei als Frontstaat direkt in eine Gefahr treibt.
Trotz all dieser Tatsachen ist es aber schwer vorstellbar, dass die Türkei sich von US/EU-Imperialismus loslösen kann und will.
Die EU-Staaten sind die wichtigsten Handelspartner der Türkei. Die türkische Finanzsektor ist eng mit dem Finanzmultis der westlichen Imperialisten verknüpft. Auch in anderen Industriezweigen, allem voran in der Automobilbranche, haben die im westlichen Imperialismus vernetzten Monopole große Investitionen in der Türkei getätigt.
Und letzlich das türkische Militär, das fast seit 70 Jahren in der NATO integriert ist. Es wäre falsch, wenn man annehmen würde, dass die einzigen NATO-treuen die Gülen-Anhänger in der Armee seien.
Unter diesen Umständen wird die AKP und das System nach einer Kompromislösung suchen, ob mit oder ohne Erdogan. Ein Kompromis, das die Zugehörigkeit zu NATO sichert, die Beitrittsverhandlungen mit der EU weiterbetreibt und sich im internationalen Politik Freiräume schafft.
Dagegen spricht die zunehmende militärische Spannung zwischen den Blöcken. Trotzdem, auch wenn Erdogan nach dem Putsch von Russland manch politische wie wirtschaftliche Unterstützung bekommt, auf kurze und mittlere Sicht ist eine radikaler Richtungswechsel der türkischen Kapital-Klasse nicht möglich.